… nur wenn die Bürgerinnen und Bürger den Spielregeln der Politik folgen
***von Hartmut Sauer***
Wenn man die Berichterstattung über den Beirat für Stadtteilentwicklung Wilhelmsburg der letzten Monate einmal Revue passieren lässt, dann stößt man auf Überschriften wie „Streitigkeiten um Wilhelmsburger Stadtteilbeirat; Bürgerbeteiligung bleibt auf der Strecke“ und „Angst vor den Bürgern; SPD, CDU, FDP versuchen mit Unterstützung der Verwaltung den unabhängigen Stadtteilbeirat an die Leine zu legen“.
Man staunt und ist irritiert, wenn man dies mit den hehren Zielbeschreibungen der Bezirksversammlung Hamburg Mitte zu „Beiratsstrukturen und Bürgerbeteiligung“ in Beziehung setzt.
Auf der Webseite des Bezirkes steht dazu:
„Der Bezirk Hamburg-Mitte praktiziert Bürgerbeteiligung in vielfältiger Weise und aus voller Überzeugung. Gerade die kontinuierliche Mitarbeit von Bürgerinnen und Bürgern an kommunalen Entscheidungen ist eine unverzichtbare Ergänzung zu der Arbeit in den bezirklichen Ausschüssen durch die gewählten Bezirkspolitiker. Die stark ausgeprägte, individuelle Herangehensweise, der im Bezirk Hamburg-Mitte bislang gefolgt wird, hat bisher zu gebietsverträglichen, nachhaltigen Prozessen und einer engen Verzahnung von Kommunalpolitik und Bürgerinteressen geführt. Vor diesem Hintergrund soll an dieser Art der Beteiligung auch zukünftig festgehalten werden.“
Der Beirat für Stadtteilentwicklung stellt sich seiner Verantwortung für den gesamten Stadtteil Wilhelmsburg – inzwischen immerhin ein Stadtteil mit 55.000 Bewohnerinnen und Bewohnern. Entsprechend groß ist das Themenspektrum. Daneben gab und gibt es in Wilhelmsburg Sanierungsbeiräte für RISE- Gebiete.
Wechsel in der Zuordnung der Beiräte: zunächst direkt beim Bezirk, jetzt beim Regionalausschuss.
Üblicherweise werden Beiräte im Bezirk Mitte vom Ausschuss für Wohnen und Stadtentwicklung begleitet, die fachliche Betreuung erfolgt durch das Fachamt Stadt- und Landschaftsplanung. Vor zwei Jahren wurden dann die Zuständigkeiten geändert und der Beirat wurde dem Regionalausschuss Wilhelmsburg zugeordnet und dem Regionalbeauftragten für Wilhelmsburg.
Hatten schon die Ortsamtleiter als quasi Vorgänger der Regionalbeauftragten wenig Kompetenzen innerhalb der Verwaltungshierarchie, so ist dies bei den Regionalbeauftragten nochmals geringer. Im Blick auf den Regionalausschuss gilt dies in ähnlicher Weise. Ich erinnere an dieser Stelle nur an die langjährigen Forderungen nach einer Kommunalisierung von Verwaltungsprozessen, die echte Entscheidungen in die Regionen delegiert. Ein entscheidender Grund für die Auseinandersetzungen um den Wilhelmsburger Beirat liegt genau hier. In der öffentlichen Wahrnehmung Wilhelmsburgs spielt weder der Regionalausschuss noch der Regionalbeauftragte irgendeine Rolle.
Der Beirat hat jedoch in den vergangenen Jahren immer wieder strittige Stadtteilfragen aufgegriffen und in die Diskussion gebracht.
Die Themen wurden dann auch durch den Vorsitzenden des Beirates in die Stadtteilöffentlichkeit getragen. Das war einigen „Granden“ des Regionalausschusses ein Dorn im Auge.
Deshalb nun der Versuch, den Beirat an die kurze bürokratische Leine zu nehmen.
Der erste Schritt dafür war die Abwahl von Lutz Cassel, des allseits anerkannten und selbstbewussten Vorsitzenden des Beirates im Oktober 2020.
Lutz Cassel, 2. von rechts
Die erst vor wenigen Jahren erfolgte Zuordnung des Beirates zum Regionalausschuss erweist sich nun als großer Fehler. Viele Jahre war der Beirat als Bürgerbeteiligungsgremium dem Ausschuss für Wohnen und Stadtentwicklung zugeordnet. Dort war er auch richtig platziert (wie im Übrigen auch alle anderen Beiräte). Dieser Ausschuss hat die Vorschläge des Beirates wertgeschätzt und nicht versucht, in einen Kompetenzstreit zu gehen. Dem Regionalausschuss fehlt diese stadtentwicklungspolitische Kompetenz. Deshalb sollte die Bezirksversammlung diese falsche Zuordnungsentscheidung wieder rückgängig machen, dem Regionalausschuss das Mandat zur Begleitung des Beirates entziehen und es wieder dem Ausschuss für Wohnen und Stadtentwicklung zuordnen.
Diesem ersten Schritt (der Abwahl) folgten gegenüber dem Beirat weitere Eskalationsstufen.
Am 9.12.2020 lud der bisherige Vorstand des Beirates zu einer konstituierenden (digitalen) Sitzung des neu gewählten Beirates ein. Diese Einladung erfolgte nach der allgemein üblichen Regel, dass der alte Vorstand so lange im Amt bleibt, bis ein neuer gewählt wurde. Am Tage der Sitzung kam über den Regionalbeauftragten aus der „Bezirksversammlung“ ein Veto gegen die Durchführung der konstituierenden Sitzung des Beirates, mit der Begründung „der alte Vorsitzende hätte formal gar nicht einladen dürfen, weil er doch nicht in den neuen Beirat gewählt wurde.“ Diese absurde Begründung führte dann tatsächlich zur Absage der Beiratssitzung.
Bei genauer Betrachtung wird die Absurdität tatsächlich noch größer, weil die bezirklichen Gremien die Wiederberufung der Beiratsmitglieder über mehrere Jahre versäumt hatten. Die reguläre Amtszeit des Beirates endete tatsächlich schon im Dez. 2018/ Jan. 2019 ohne dass es zu einer Neuwahl kam. Der Beirat hat also seine Geschäfte weiter geführt mit denselben Personen und Funktions- und Amtsträgern. Nun aus dem Bezirk zu behaupten eine Durchführung der konstituierenden Sitzung nach der Neuwahl durch den bisherigen Vorstand sei irregulär ist ein „schwer verdaulicher“ Vorgang.
Die Einmischungen waren damit jedoch nicht zu Ende.
Der Regionalausschuss traf die Festlegung, dass nur solche Beiratsmitglieder gewählt werden können, die auch im „Quartier“ wohnen. Dieses Kriterium hatte bei Wahlen in der Vergangenheit nie eine Rolle gespielt. Wenn man sich die Quartiersgrenzen der 14 Beiratsquartiere einmal ansieht, kommt man ganz schnell zu dem Ergebnis, dass die Grenzen völlig willkürlich sind. Da also die 14 Bereiche keinen Quartierszusammenhang haben, ist auch eine Festlegung eines Wohnortprinzips unsinnig. Zumal es nach der Kultur des Beirates immer von größerer Bedeutung war, dass Menschen aus dem Stadtteil sich für den Stadtteil engagieren wollten. Deshalb war das Wohnortprinzip von untergeordneter Bedeutung. Es ging nie um das Vollziehen kleinkarierter Verwaltungsregeln, sondern um Wertschätzung für Menschen die bereit waren und sind sich ehrenamtlich zu engagieren.
Der nächste Eskalationsschritt seitens der Bezirksverwaltung war ein Gefälligkeitsgutachten
des Leiters des Rechtsamtes für den Regionalbeauftragten zu der Frage, ob ein Beirat dem Rechtsrahmen eines bezirklichen Ausschusses unterfällt.
Dr. Schiwek, 5.3.2021: “ Etwaige Regelungslücken und auch die Grenzen des Zulässigen sollten durch eine entsprechende Anwendung der Regelung für Unterausschüsse zu Regionalausschüssen (§ 16 Abs. 1 BezVG) geschlossen bzw. definiert werden, da der Beirat einem Unterausschuss am ähnlichsten ist. Zudem wäre es kaum nachvollziehbar, warum sich ein Unterausschuss oder ein Regionalausschuss an bestimmte Rechte und Pflichten halten muss, ein Beirat aber nicht.“ Das ist eine abenteuerliche Rechtsauslegung, die mit üblichen juristischen Vorgehensweisen nicht das Mindeste zu tun hat und eine Missachtung aller Regeln von Bürgerbeteiligung .
Ausschluß der Öffentlichkeit durch den Regionalbeauftragten
Am 17. März 2021 sollte erneut versucht werden mit dem neugewählten Beirat eine konstituierende Sitzung online abzuhalten. Da es noch immer keinen neuen Beiratsvorstand gab, wollte Lutz Cassel diese Sitzung eröffnen. Kurz vor Sitzungsbeginn wurde auf Anweisung des Regionalbeauftragten Rudolph die Öffentlichkeit ausgeladen, der Link zur Teilnahme an der Sitzung deaktiviert. Er wolle „in nichtöffentlicher Sitzung mit den Mitgliedern des Beirats diskutieren“, teilte Herr Rudolph per E-Mail mit.
Ein klarer Verstoß gegen die Geschäftsordnung des Beirats, die grundsätzlich öffentliche Sitzungen vorsieht. Nach kontroverser Diskussion wurde diese nicht Satzung konforme Sitzung nach Beschluss der großen Mehrheit der Beiratsmitglieder dann abgebrochen.
Inzwischen hat der Beirat eine Sondersitzung und eine reguläre Sitzung (jeweils online) durchgeführt, selbstverständlich öffentlich. Es hat sich ein Sprechergremium gebildet, das die Geschäfte führt bis in einer Sitzung mit persönlicher Anwesenheit ein regulärer Beiratsvorstand gewählt werden kann.
So weit so gut, könnte man meinen. Das Problem ist nur, dass die zugrunde liegenden Probleme immer noch vor sich hin schmoren.
Leider hat inzwischen auch der Leiter des Bezirksamtes Falko Droßmann Partei ergriffen und sich mit falschen Behauptungen in den Konflikt eingemischt.
In einem Brief vom 12.4.2021 an das vorsitzende Mitglied der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte, Frau Meryem Celikkol schreibt er u.a.: „Die Mehrheit der Mitglieder des Beirates sieht sich offenbar nicht imstande, diesen Teil der Wahl zu akzeptieren, was zu einer Blockade der Beiratsarbeit einerseits und zu einer immer heftigeren Kontroverse führte“ und „Herr Cassel tritt weiterhin für den Beirat auf, obwohl er ihm nach Einschätzung des Rechtsamtes nicht mehr angehört.“ Beide Aussagen treffen nachweislich nicht zu. Lutz Cassel ist zu keinem Zeitpunkt „weiterhin für den Beirat“ aufgetreten, bis auf die Tatsache, dass er als bisheriger Vorsitzender die konstituierende Sitzung des neu gewählten Beirates eröffnen wollte.
Auch wenn bei vielen der Ärger über die Tricksereien einiger Regionalausschussmitglieder immens war, so hat es gleichwohl keine Blockade gegeben. Allerdings die Forderung nach Klärung dieser Vorgänge. Misslich ist dieser falsche Zungenschlag auch deshalb, weil Frau Celikol für den Beirat quasi eine Mediation übernehmen soll.
Es bleibt also offen wohin dieser gesamte Konflikt noch führen wird.
Es ist viel Porzellan zerschlagen worden und es bleibt abzuwarten, ob zwischen den beteiligten Parteien wieder eine Vertrauensbasis entstehen kann. Insgesamt fehlt es seitens der politischen Akteure an Respekt vor der Selbstständigkeit dieses Bürgerbeteiligungsgremiums. Es wäre wirklich hilfreich, wenn von Seiten des Bezirkes die oben zitierten Aussagen zur Bürgerbeteiligung ernst genommen und befolgt würden und derartige Versuche der Einmischung und Bevormundung zukünftig unterbleiben würden.