Goldgrube für Immobilieninvestoren oder bezahlbarer Wohnraum für Alle?

Nach dem Ende der IBA: Jetzt geht´s mit dem Bauen richtig los

 

Aus dem Rahmenplan der BSU zum "Zukunftsbild Elbinseln 2013+"

Aus dem Rahmenplan der BSU zum „Zukunftsbild Elbinseln 2013+“

Die IBA ist Geschichte. Ein neuer „Bürger- Beteiligungsprozess“ zu „Perspektiven für die Elbinseln“ hat gerade erst begonnen. Gleichzeitig hat die Behörde ihre Perspektive schon fertig: Bereits am 23.10.2013 stellte der Oberbaudirektor das „Zukunftsbild Elbinseln 2013+“ der Behörde für Stadtentwicklung und Umwelt (BSU) als „Zwischenbilanz“ dem Stadtplanungsausschuss der Bezirksversammlung Hamburg Mitte vor und kündigte eine Verabschiedung im Senat für April 2014 an.

Kurzfassung Zukunftsbild Elbinseln 2013+ Zwischenbilanz

Worum es geht, zeigt schon ein schneller Blick auf den Rahmenplan. Riesige Potentiale werden für neuen Wohnungsbau gesehen: Vor allem in der „zentralen Mittelachse“ zwischen Spreehafen bis zur Neuenfelder Straße, aber auch am Nordrand der Veddel, in Georgswerder, im neuen Bahnhofsviertel, Georg-Wilhelm Straße, Hauländer Weg und Algermissenstraße.

Im Begleittext werden die „wichtigen Entwicklungsimpulse“ durch IBA und igs vor allem in „Wilhelmsburg Mitte“ gewürdigt. Weiter heißt es dann: Das „erregt zunehmend das Interesse privater Immobilieninvestoren. An diese positiven Entwicklungen gilt es nun anzuknüpfen: Zentrale Aufgaben sind dabei die Weiterentwicklung des Wohnungsbaus…“

Vermutlich geht es um ein Bauvolumen, das die bisherigen Projekte der IBA um ein mehrfaches übersteigen soll. Eine IBA-Nachfolgegesellschaft  ist in der Konstruktion, die mit dem Know-how der IBA für deren zügige Realisierung sorgen soll.

Da in dem Text der Behörde weder Ziel noch Charakter des geplanten Wohnungsbaus näher definiert sind, stellt sich die Frage: Was ist „das Interesse privater Immobilien – Investoren“? In der Fährstraße findet sich an einer Häuserfront der programmatische Satz von Erich Klabunde: „Sozialer Wohnungsbau heißt: Ohne Gewinnabsicht bauen“. Sozialromantik der 50iger Jahre? Oder ist es nicht genau das, was wir hier auch heute brauchen: Bezahlbarer Wohnraum für Alle?

Es geht also einerseits um die noch verfügbaren freien Flächen, andererseits um die Frage, welchen Wohnungsbau die Menschen auf den Elbinseln brauchen? Im Stadtteil steht die Debatte darüber erst am Anfang. Bis zu den Bezirkswahlen im Mai 2013 bestehen noch Chancen, hier Einfluss zu nehmen.

Thesen über Kontexte, Konflikte und offene Fragen:

 

  1. Die Grundsatzfrage: Ist Wohnen auf den Elbinseln eine sinnvolle Perspektive?

Historisch betrachtet war das Stromspaltungsgebiet der Elbe als Ort zum Wohnen eine grundsätzlich problematische  Angelegenheit und  musste den Überflutungsräumen im Binnendelta zwischen Hamburg und Harburg durch Eindeichung erst einmal abgetrotzt werden. Noch im 20. Jahrhundert war aus Hamburger Sicht Wohnen auf den Elbinseln eigentlich nicht vorgesehen und Oberbaudirektor  Fritz Schumacher fasste das damalige Credo 1925 so zusammen: „Der Hamburger wohnt auf der Geest, in der Marsch wird gearbeitet“.

Nach der opferreichen Flut von 1962 kam diese Grundsatzfrage erneut  auf die Tagesordnung: Der gesamte Westen bis zur Bahn wurde für Hafenerweiterung vorgesehen und erst ab 1978 wieder als Wohngebiet entwickelt.

Vielleicht ist es ein historisches Verdienst des jetzigen Oberbaudirektors und seiner IBA, die Eignung der Elbinseln als ein Ort zum Wohnen fest zu schreiben?
Durch steigende Wasserstände der Elbe (Klimawandel) könnte dies perspektivisch allerdings erneut in Frage gestellt werden. Die Elbinsel als Schüssel, z.T. unter NN, ist und bleibt Hamburgs potentielles „Versaufloch“.

 

  1. Das Spannungsfeld von Stadt und Hafen ist ein Alleinstellungsmerkmal unserer Stadtteile Wilhelmsburg und Veddel innerhalb Hamburgs

Die Elbinseln sind Hafen und Stadt zugleich. Dieser Grundkonflikt zeigt sich nicht nur an den Frontlinien am Veringkanal und im Spreehafen. Er prägt und durchdringt die Wohngebiete durch Verkehr, Geräusche, Gerüche, Zerschneidungen, Explosionen und Brände, Unfälle etc.
Diese Gemengelage unterscheidet Wilhelmsburg und Veddel von allen anderen Stadtteilen, was u.a. dazu führt, dass Aufwertungsbemühungen Grenzen gesetzt sind und Gentrifizierungsprozesse hier ihre Besonderheiten haben.  
Der bekannte Stadtökonom Prof. Läpple formulierte am 19.10.2007 in einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt dazu programmatisch: „Die Elbinsel Wilhelmsburg hat enorme Potenziale für die Stadtentwicklung. Doch die Politik muss sich entscheiden: Will sie dort Stadt – oder soll die Elbinsel Reservegebiet und Verkehrs- und Lagerfläche für die Hafenentwicklung bleiben. Zurzeit wird dieses Problem nicht offen thematisiert“.

Interview Prof. Läpple:
Hafen-Stadt-Konflikt-Interview-Laepple

 

  1. Wilhelmsburg und Veddel sind nach wie vor „Unterstadt“ – Stadtteile „2. Klasse“

Allen Hochglanzbroschüren und Sonntagsreden bei Zaunöffnungen und Grundsteinlegungen zum Trotz:  Für Senat und Handelskammer sind die Elbinseln nach wie vor Sondergebiet, Flächenreserven und Planungsräume mit  besonderem Charakter.
Die Entscheidung für das Kraftwerk Moorburg (CO2, Feinstaub, Schwermetalle, Stickoxide in Windrichtung) und die Selbstverständlichkeit, wie hier weiterhin Autobahnprojekte durch Wohngebiete geplant werden, sowie kürzlich der Konflikt um den Opernfundus, der in Barmbek für Wohnungsbau weichen soll, sind anhaltende Belege.
Aber auch Wohnverträglichkeit von Gewerbe wird hier anders definiert als in jedem anderen Hamburger Stadtteil. Beispiele sind Störfallbetriebe und Geruchsemittenten, in deren Nähe sich nach GIRL Wohnen anderenorts verbieten würde sowie die Container-Stapelei – Reparatur und Transport unmittelbar neben bzw durch Wohngebiete (das jüngste Beispiel ist das erst 2006/2007 errichtete Containergebirge am Westufer des Veringkanals gegenüber der Rehaklinik Groß Sand – Im Bereich Bebauungsplan Wilhelmsburg 88).

 

  1. Der IBA wurden bei ihrem Kernthema „Metrozone“ die Grenzen aufgezeigt

2005 verfasste der Senat sein Memorandum zum Sprung über die Elbe unter dem Titel “Hamburg auf dem Weg zur Internationalen Bauausstellung”. Hier wird nicht nur ein “städtebaulich anspruchsvoller Übergang zwischen Hafen und Stadt” im Westen Wilhelmsburgs gefordert, sondern auch Konzepte für die anderen Frontlinien der sog. „Metrozonen“ zwischen Stadt und Hafen: Am kleinen Grasbrook, im Spreehafen, am Reiherstieg, in Obergeorgswerder.

Memorandum-fuer-eine-IBA – 2005


Irgendwann haben die Stadtentwickler einsehen müssen, dass die Konflikte mit Wirtschaftsbehörde, Handelskammer, HPA und Verkehrsbehörde in dieser Stadt nicht kurzfristig lösbar sind, haben sich von den Frontlinien zurückgezogen und sich für die Realisierung ihrer für 2013 vorgesehenen Ausstellung auf die weniger konfliktträchtigen inneren Bereiche der Elbinsel konzentriert bzw. zurückgezogen.

  1. Aus dieser strategischen Niederlage der Stadtentwicklung resultiert auch die jetzige Schwerpunktsetzung auf die „Mittelachse“, für Wohnungsbau in der Wilhelmsburger Mitte und hier vor allem der begehrliche Blick auf die vorhandenen Grünflächen und Kleingärten.

Von Wohnen im Spreehafen auf Hausbooten hat man sich schon lange verabschiedet. Am Veringkanal ist im „Zukunftsbild Elbinseln 2013 +“ nur noch von einer „Qualifizierung bestehender gewerblicher Strukturen“ die Rede: Außer am Hauländer Weg (Projekt „Klimahäuser“) hat man den Süden der Elbinsel überhaupt nicht im Blick; der Süden ist bekanntlich Vorbehaltsfläche für die geplante Verlängerung der A26 (Hafenquerspange) bis an die A1 bei Stillhorn.

Auch in der „Mittelachse“ gehören die größten Flächen in den Zuständigkeitsbereich der Wirtschaftsbehörde (laut Bebauungsplan handelt es sich zwischen jetziger Reichsstraße und der Bahn um ein Industrie-und Gewerbegebiet).  Entsprechend dem bisherigen Muster dürften sich die Wohnungsbaupläne sehr schnell auf die Bereiche mit vermuteter schneller Verfügbarkeit und geringer Gegenwehr konzentrieren.

Protokoll 2. Planungswerkstatt am 25.1.2013 – hier vor allem ab Seite 30 ff:
2013-01-25_Doku_2. Planungswerkstatt

Protokoll „Zwischenbilanz“ vom 22.2.2013 – hier vor allem ab Seite 9 ff:

2013-Protokoll Zwischenbilanz 22.02.2013

 

  1. Die Flächenpotentiale der Elbinseln wecken vielfältige Begehrlichkeiten

Dünne Besiedlung, viel Grün und Wasser in zentraler Lage – diese Charakteristika der Elbinseln lassen die Herzen von Planern, Entwicklern und Investoren höher schlagen. (Auf 35 km² wohnen gut 55 000 Menschen – Siedlungsdichte: 1400 Menschen pro km²// im Vergleich Ottensen: hier leben 33 000 Einwohner auf 3 km², Siedlungsdichte: 12 000 pro km²).

Nach der Zukunftskonferenz 2001/2002 und der Internationaler Entwurfswerkstatt zum „Sprung über die Elbe“ 2003 hat sich deshalb 2004 auch die Handelskammer mit ihrer Broschüre zu „Leben und Arbeiten im Herzen Hamburgs –Die Entwicklungsperspektive der Elbinsel“ zu Wort gemeldet. Hier hat man den Eindruck, dass die Flächen für Gewerbe, Wohnungsbau und Naherholung gleich mehrfach in Wert gesetzt werden können. In jedem Fall sieht die Handelskammer in ihrem Rahmenplan hier Platz für 50 000 neue Bewohner und 15 000 neue Arbeitsplätze bei gleichzeitiger Verbesserung der Lebensqualität (siehe Vorwort und Rahmenplan der Broschüre).

Entwicklungsperspektive Elbinsel der Handelskammer von 2004

 

  1. Wo soll/kann perspektivisch „Wohnen“ sein, angesichts der bestehenden Flächenkonkurrenzen?
  • Für den Wilhelmsburger Osten liegt eine entscheidungsreife „Landschaftsschutzverordnung“  aus der BSU vor, deren  Umsetzung im Senatsgehege derzeit fest hängt.
  • Welche anderen Bereiche auf den Elbinseln mit/für Natur, Grün, Naherholung, Gärten sollten erhalten oder ersetzt oder weiter entwickelt werden?
  • Welche Pläne gibt es für die Bunthaus-Spitze (bisher HPA-Betriebsgelände)?
  • Im Süden der Elbinsel gibt es den Zielkonflikt zwischen städtischer Entwicklung  und Vorbehaltsfläche für die Trasse von A26/Hafenquerspange.
  • Wohnen zu Lasten von Industrie oder von Kleingärten, Grünflächen, Sportplätzen, Ruderclub etc. in der Wilhelmsburger Mitte und am Ernst August Kanal? Wohnen und/oder Kleingärten am Assmannkanal?
  • Wohnen in einem zukünftigen Mischgebiet am Veringkanal  (mit Inkraftsetzung Bebauungsplan Wb 88 und Änderung Bebauungsplan Wb 64) und/oder Beschränkung auf „Qualifizierung gewerblicher Strukturen“  (Position des „Zukunftsbild“ der BSU) mit Entwicklung zu einem „Kulturkanal“ (Vorschlag von Bezirksamtsleiter Grote u.a.) ?
  • Wie sind die Potentialflächen an der Krieterstraße, Harburger Chaussee, Hauländer Weg, Algermissenstraße etc. zu beurteilen?

 

  1. Welchen Wohnungsbau brauchen die Menschen auf den Elbinseln?

In der vorliegenden Zusammenfassung der „Zwischenbilanz“ werden im Wesentlichen die Potentialräume markiert und das Interesse von privaten Immobilieninvestoren konstatiert. Fragen nach dem Charakter und den vorgesehenen Zielgruppen für den geplanten Wohnungsbau bleiben bisher offen.

 

  • Wieviel  Bevölkerungswachstum „vertragen“ die Elbinseln?
  • Bestandsanalyse: Wie viele Wohnungen im Bestand gehören SAGA, Genossenschaften, Baugemeinschaften, privaten Eigentümern?
  • Bestandsanalyse: Für wie viele Wohnungen besteht welche Sozialbindung?  Auslaufen von Sozialbindungen? Privatisierungen?
  • Wo auf den Elbinseln besteht Sanierungsbedarf im Bestand?
  • Abgeschlossene und noch geplante Maßnahmen im Rahmen der beiden Sanierungsverfahren S5 und S6?
  • Welche Instrumente gibt es, um die Mieter in den GAGFAH Wohnungen zu unterstützen?
  • Welchen Wohnungsbau brauchen die Menschen in Wilhelmsburg und auf der Veddel?
  • Auch in Wilhelmsburg und auf der Veddel gibt es Wohnungsnotstand. Was brauchen Menschen, die derzeit in Zelten, Autos, im „Schichtsystem“ schlafen oder ausbeuterischen Mietverhältnissen ausgesetzt sind? Winter/ Wohnungsnotprogramme?
  • Wo gibt es Wohnungsleerstände im Stadtteil?
  • Was definieren wir als „bezahlbarer Wohnraum“?
  • Welche Vorgaben macht das Wohnungsbauprogramm des Senats?
  • Wie lässt sich eine soziale Wohnungspolitik durchsetzen? (s. Thesenpapier Christiane Tursi von Verikom Wilhelmsburg)
  • Welche Hebel gibt es zur Durchsetzung bezahlbaren Wohnraumes und zur Verhinderung von Umwandlungen und Bodenspekulation (soziale Erhaltungsverordnung, Sanierungsverfahren, „Städtebauliche Entwicklungsmaßnahme“)?
  • Wie und wo können lassen sich Wohnen und Arbeiten sinnvoll kombinieren?

Thesenpapier Christiane Tursi:
In der Wohnungspolitik muss ein soziales Umdenken stattfinden

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