Beitrag von Christiane Tursi, verikom Wilhelmsburg, beim Pegelstand am 17.9.2013 „Was geht am Veringkanal?“
Als Mitarbeiterin von verikom sehe ich meine Aufgabe darin, einen sozialpolitischen Blick auf die heute hier zu diskutierenden Fragen bei zu steuern. Als Beratungsstelle für Migrant_innen bekommen wir mit, wie dringend gerade die Leute, die wenig Geld haben, Wohnungen suchen; von daher möchte ich eine Lanze brechen für sozialen Wohnungsbau, wo immer sich eine Möglichkeit bietet, so auch am Veringkanal.
Es muss massiv Entlastung geschaffen werden auf dem Wohnungsmarkt und zwar im unteren Preissegment.
In Wilhelmsburg haben wir eine soziale Situation, die eine gezielte Stadtentwicklungspolitik für die Bedarfe der schwächsten Bevölkerungsgruppe dringend nötig macht. Die IBA hat in dieser Richtung ja, wie wir wissen, keine Impulse geliefert und darin auch nicht ihre Aufgabe gesehen.
Sozialer, bezahlbarer Wohnungsbau, das heißt nicht öde Wohnsilos für Leute, die weiter keine großen Ansprüche haben, sondern im Gegenteil: auch soziokulturelle Infrastruktur muss dazu entwickelt werden, an der sich auch die AnwohnerInnen erfreuen können und die sie brauchen, denn auch der ärmere Teil der Bevölkerung und die prekär Lebenden sind es wert und haben den Bedarf, dass die Stadt ihnen gute und attraktive Wohn-, Arbeits- und Lebensbedingungen schafft.
Ich würde sagen, das Konzept für den Veringkanal wäre preiswertes Wohnen in angenehmer Atmosphäre, ein Mischkonzept, wo Wohnen mit nahen Arbeitsplätzen, Naherholungsflächen und kulturellen und sozialen Angeboten verbunden wird.
Ich will aber kurz begründen, warum ich immer sozialen Wohnungsbau fordern würde, und zwar für diejenigen, die heute schon vor Ort und in Not sind, nicht für irgendwelche noch anzuwerbenden Schichten, die vielleicht auch andernorts Alternativen haben.
Jahrelang hat Hamburg verpasst, in ausreichendem Ausmaß in neue Sozialwohnungen zu investieren.
Diese Vernachlässigung war kein Zufall, sondern Programm: das Bauen für Reiche war und ist für Investoren einfach attraktiver, und die Stadt hat genüsslich zugesehen, dass viele Quartiere sich dermaßen verteuert haben, dass Leute mit kleinem Geldbeutel dort keine Wohnungen mehr kriegen, oder hat dafür Sorge getragen, dass neue Quartiere entstanden, wie die Hafencity, die Perlenkette an der Elbe oder die neue Wilhelmsburger Mitte, die für Begüterte reserviert sind. Eigentum und hochpreisiges Wohnen gehört zum Prestige der Stadt, sind ein Aushängeschild der Wachsenden Stadt.
Nun will und muss der Senat die Versäumnisse der vergangenen Jahre mit einem neuen Wohnungsbauprogramm ausbügeln, kommt aber mit dem sozialen Wohnungsbau nicht mehr nach, da das Auslaufen vieler bestehenden Mietpreisbindungen den Zuwachs an neuen Wohnungen wieder auffrisst und ca. 60 % der Hamburger Haushalte schon für eine Sozialwohnung in Frage kommen. Das sind einigermaßen dramatische Konsequenzen der Niedriglöhne bzw. der Armut, die in Deutschland kontinuierlich wächst. Trotzdem lässt die Stadt häufig nicht von Drittelmixkonzepten ab, die üblich geworden sind, wenn ein Areal neu bebaut werden soll.
Ein Drittel Sozialwohnungen, ein Drittel Eigentum und ein Drittel hoch- bis mittelpreisiges Wohnen. Das sind Zugeständnisse an die Rendite von Investoren, aber nicht an den sozialen Bedarf.
Was fehlt, ist billiger Wohnraum, überall.
Auch in Wilhelmsburg und Veddel schwinden die Sozialwohnungen durch Auslaufen vieler Bindungen in den nächsten Jahren. Wohnungskonzerne wie die GAGFAH machen sich diese Entwicklung und die Wohnungsnot zu nutze. Sie können ihre Politik des systematischen Herunterwirtschaftens fortsetzen, weil die Menschen im Korallus- und Bahnhofsviertel gezwungen sind, in den schlecht gewarteten und nicht instandgesetzten Häusern auszuharren, sie werden erpresst sozusagen, alle möglichen Mietmängel und die Verwahrlosung ihres Umfelds zu dulden, weil sie außerhalb der GAGFAH nichts anderes mehr kriegen können. Die GAGFAH rühmt sich mit noch bezahlbaren Mieten, droht aber im selben Atemzug, dass die Mieten natürlich bei Instandsetzung der Häuser und Mängelbeseitigung anziehen. So erleben wir die Ausweitung von Armutszonen, in die kaum noch etwas investiert wird, in unmittelbarer Nachbarschaft mit neuen, schicken Ecken in Wilhelmsburg, Hochglanz und Schimmel, wie wir immer bildlich sagen, auf engem Raum zusammen. Das neue Schöne ist für die bürgerliche Mittelschicht, und die Gammelecken bleiben für die Armen übrig, die keine Alternative haben, wenn sie überhaupt eine Wohnung finden.
Die SAGA GWG ihrerseits führt Listen, auf denen die Wohnungssuchenden jahrelang auf Angebote warten, und teilt mit, dass es kaum Fluktuation und keine Wohnungen gäbe. Aber auch bei der städtischen SAGA ist eine Entwicklung erkennbar, dass man sich zunehmend die „besseren“ Mieter unter den Sozialwohnungsberechtigten aussucht und zunehmend Wohnungen normalpreisig ohne Bindung vermietet. Da fallen viele durch die Maschen, als erstes diejenigen, die wenig Deutsch sprechen, ein kleines oder unregelmäßiges Einkommen haben oder angeblich nicht in die Nachbarschaft passen.
Die SAGA weist den Vorwurf der Diskriminierung stets weit von sich, hat aber kein Konzept um sicherzustellen, dass es bei der Wohnungsvergabe nicht doch zu den ganz üblichen Ausschlüssen kommt, von denen gerade Migrant_innen häufig ein Lied singen können. Das Argument der sozialen Durchmischung bedeutet in ungezählten Fällen nichts anderes als die weitere Benachteiligung von ärmeren und eingewanderten Bevölkerungsteilen. Auch hier hält die Stadt erklärter maßen an einer Strategie fest, die die Menschen, die am meisten auf soziale Gerechtigkeit und billigen Wohnraum angewiesen sind, weiter ins Abseits drängt; denn in den reichen Stadtteilen redet natürlich niemand von sozialer Durchmischung, dort werden seltsamer Weise nicht Wohnanteile für Ärmere freigehalten.
Um eine Wohnung zu finden, braucht man verlässliche Einkommensnachweise oder zumindest einen Arbeitslosengeld II-Bescheid, erst recht unter den Bedingungen krasser Wohnungsnot, wie wir sie haben.
Wilhelmsburg, wie auch insgesamt die Stadt Hamburg, erfährt seit ein paar Jahren eine neue Zuwanderung von neuen EU-Bürger_innen vornehmlich aus Rumänien und Bulgarien, aber nun auch von Arbeitsmigrant_innen aus dem Süden Europas, die die Krise nach Norden getrieben hat.
Viele Leute leben jetzt irgendwo mit, bei Verwandten vielleicht, die eine Anmeldung und eine Wohnung haben. Durch die Überbelegung gibt es zwangsläufig Probleme. Neuankömmlinge schlafen vielleicht auch erst mal im Auto, bis sie irgendwo unter kommen können. Diejenigen, die reguläre Arbeit durch Werkverträge haben, werden manchmal in Baracken untergebracht. Im Winter drängten viele Menschen aus Bulgarien und Rumänien ins Winternotprogramm und schlugen sich auf der Straße durch. Das wird auch im nächsten Winter wieder so sein.
Auf dem Wohnungsmarkt haben sich ähnliche Ausbeutungsstrukturen entwickelt wie auf dem Arbeitsmarkt,
es gibt allerlei zweifelhafte Helfer und Helferinnen, die den Leuten, die in Not sind, Unterkünfte oder auch nur Anmeldeadressen geben oder vermitteln und dafür Geld nehmen. Wir kennen Leute, die mit ihren Kindern für zwei schäbige Zimmer 1000,- € im Monat bezahlen müssen, inoffiziell, ohne Mietvertrag und Quittung, dafür mit Anmeldung. Wie die Leute das machen, wissen wir nicht. Andere zahlen 100,- € im Monat nur für die Anmeldung, ohne Wohnung; andere zahlen 500,- € für eine inoffiziell untergemietete Ein-Zimmer-Wohnung, die eigentlich nur 400,- kostet. Die eigentlichen Mieter machen ein Geschäft daraus. Und plötzlich wollen sie dann die Wohnung wieder haben und schmeißen die rechtlosen Untermieter von heute auf morgen raus, wie wir gerade neulich mit einer jungen bulgarischen Familie mit einem kleinen Kind erlebt haben. Für die nächste Wohnung, die ihnen unter der Hand überlassen wurde, sind dann 700,- € fällig, aber auch diese Unterkunft ist nur vorübergehend. Dennoch sind die Leute auf diese Helfer-Ausbeuter, die sich darauf spezialisiert haben, Infrastruktur für teuer Geld anzubieten, angewiesen, weil sie sonst ganz auf der Straße sind.
Die Stadt muss endlich reagieren mit einem groß angelegten Programm für mehr Unterkünfte kurzfristig und Wohnungen langfristig. Das Elend der Straße wird sich nicht einfach von selbst erledigen.
Es reicht nicht aus, wie es die IBA in ihrem Stadtteilmarketing gern gemacht hat, Migranten kulturalistisch zu vereinnahmen als Werbeträger im Namen der kulturellen Vielfalt. Aber als echte Menschen, als Bevölkerungsgruppe mit sozialen Bedarfen oder auch Notlagen kommen sie nicht vor und werden politisch ignoriert. Das passiert allerdings auch nicht nur Migrant_innen, denn auch einheimische, sozial diskriminierte Bevölkerungsgruppen werden gerne politisch übersehen, weil sie keine Lobby haben.
In der Wohnungspolitik muss ein soziales Umdenken stattfinden.
Nachdem die IBA nun in dieser Richtung gar keine Herausforderung angenommen hat und die Hamburger Regierungen ihre soziale Aufgabe bei der Daseinfürsorge im Bereich Wohnen lange ignoriert haben, brauchen wir endlich eine Stadtentwicklungspolitik von unten für unten, für bezahlbaren Wohnraum, für in allererster Linie und in massivem Ausmaß die große Zahl der Wohnungssuchenden mit kleinem Geldbeutel, so auch in Wilhelmsburg. Wenn keine effektive Entlastung geschaffen wird für die Menschen, die da sind, werden sich auch in Wilhelmsburg Verelendungsstrukturen ausbreiten, die wirklich niemandem nützen. Also, Wohnungen und attraktive Bedingungen für diejenigen, die sie am nötigsten brauchen, auch am Veringkanal.