Krankenhaus Groß-Sand wird abgewickelt: Schwerer Schlag für die Gesundheitsversorgung in Hamburg 2

Notaufnahme und Chirurgie im Wilhelmsburger Krankenhaus Groß-Sand sollen zum 15. Juli 2025 geschlossen werden.

Wilhelmsburg braucht sein Krankenhaus mit Grund- und Notfallversorgung – Hamburg braucht ein Notfallzentrum auf der Elbinsel!

Das katholische Erzbistum Hamburg beendet seine Trägerschaft für das Wilhelmsburger Krankenhaus zum 15.7. und gibt damit den chirurgischen Versorgungsauftrag an die Stadt zurück.

In einem Rundschreiben an die Mitarbeiter heißt es: „Die chirurgische Versorgung, die zentrale Notaufnahme der OP-Betrieb und die BG-Versorgung werden zum 15. Juli 2025 eingestellt. Von der Umstrukturierung werden von 550 Arbeitsplätzen voraussichtlich rund 40 betroffen sein.“

Damit wird es in Wilhelmsburg in wenigen Wochen keine Notaufnahme und keine Chirurgie mehr geben. In Wilhelmsburg und auf der Veddel leben ca 60 000 Menschen. Schon jetzt gibt es keine chirurgische Praxis, keinen D-Arzt auf den Elbinseln, ab dem 15.7. dann auch KEIN Notfallröntgen und KEINE Anlaufstelle für irgendwelche Notfälle mehr für die Bevölkerung und die zahllosen umliegenden Betriebe und im Hafen.

Petition gegen die Schließung mit großer Unterstützung

Hans Martin Wismar hat auf change.org eine Petition gestartet, die in kürzester Zeit von weit über 4000 Menschen unterstützt wird. Darin werden die Folgen für die Menschen vor Ort, die langen Wege sowie die Auswirkungen auf die ohnehin überlasteten Hamburger Notfallambulanzen in Harburg und in der Innenstadt beschrieben. Die Ankündigungen von SPD und GRÜNEN, eine Notfallversorgung irgendwann über eine „Stadtteilklinik“ sicher stellen zu wollen werden in der Petition als Augenwischerei kritisiert.

Petition gegen die Schließung des Wilhelmsburger Krankenhauses ab Juli

 

Die Hauptfrage ist, wie zukünftig die stationäre Grund- und Notfallversorgung in Hamburgs größtem Stadtteil sicher gestellt werden kann.

Das Erzbistum ist jetzt raus. Das war absehbar und das ist auch gut so.

Zu offensichtlich, dass sie überfordert waren und unfähig zu Konzeption, Kooperation und Kommunikation.

Gleichwohl ist Häme gegenüber dieser kirchlichen Trägerschaft auch wohlfeil. Schließlich haben die auf Gewinn orientierenden Rahmenbedingungen im deutschen Krankenhauswesen auch – vermutlich mehrere hundert – anderen kleinen Krankenhäusern das Genick gebrochen. Und dafür ist die Politik mit dem von ihr zu verantwortenden System der Krankenhausfinanzierung (Fallpauschalen DRG) verantwortlich. Von dieser Verantwortung lenkt die Hamburger Regierungskoalition ab,  wenn die Schuld am Niedergang von Groß-Sand einzig beim Mismanagement des Erzbistums gesehen wird.

Warum hat der Hamburger Senat nicht früher eingegriffen?

Bei Groß-Sand ist darüber hinaus die Frage, warum die zuständige Senatorinnen – zunächst Melanie Leonhard und derzeit Melanie Schlotzhauer – von der Gesundheitsbehörde und der Hamburger Senat insgesamt, diese jahrelange Hängepartie zugelassen haben. Das jetzige Ende war doch zu befürchten bzw. zunehmend absehbar. Man hat sich auf eine moderierende Rolle beschränkt statt als Stadt in das Bieterverfahren aktiv einzugreifen und mit einer städtischen Trägerschaft dem Haus wieder auf die Beine zu helfen und damit den Vorsorgungsauftrag der Stadt für die stationäre Grundversorgung und die medizinische Notfallversorgung in dem größten Hamburger Stadtteil sicherzustellen.

Mit öffentlicher Daseinsvorsorge lassen sich keine Gewinne machen

Warum will der Senat da nicht ran? In der Grund- und Notfallversorgung sind keine Gewinne zu erwarten. Das ist bekannt. Selbst das hochspezialisierte UKE schreibt derzeit offenbar rote Zahlen, die von der Stadt aufgefangen werden müssen.

Aber das ist doch das Wesen öffentlicher Daseinsvorsorge!  Es sind die Bürgerinnen und Bürger, die mit ihren Steuern die Freie und Hansestadt Hamburg finanzieren und deshalb haben sie auch ein Anrecht auf eine gute Gesundheitsversorgung vor Ort.

Geld spielt keine Rolle, wenn in anderen Bereichen viele Millionen in die städtische Infrastruktur investiert werden oder auch in spekulative Leuchtturmprojekte von denen man sich langfristig positive Effekte für die Stadt verspricht (Hafencity, Elbphilharmonie, Elbtower, Verkehrsinfrastruktur oder jetzt aktuell eine erneute Olympiabewerbung).

Rettungskonzept „Stadteilklinik in einem Stadtsstaat“ ?

Jetzt wollen die Hamburger Koalitionäre am 18.6. einen Antrag in die Bürgerschaft einbringen, in dem sie dem Senat Eckpunkte für eine zukünftige Sicherstellung der Gesundheitsversorgung in Wilhelmsburg vorschlagen.

Kernstück soll eine noch näher zu definierende „Stadtteilklinik in einem Stadtstaat“ werden. Diese soll Betten für „Kurzzeitlieger“ vorhalten, die im Rahmen des Projektes STATAMED für leichtere Fälle einen gesteuerten Übergang in die ambulante Behandlung (unterstützt durch Flying nurses) ermöglichen soll. Die vorhandenen MVZ sollen ausgebaut werden und ihre Sprechstunden ausweiten.

Dabei soll ein „Gesamtkonzept für die Notfallversorgung“ vorgelegt werden, „das die Bedarfe der Wilhelmsburger:innen abbildet„.

Mit diesen Eckpunkten werden einige mögliche Bausteine vorgestellt. Bis zu einem stimmigen Gesamtkonzept scheint es noch ein langer Weg. Finanzierungswege, Trägerschaften, Verantwortlichkeiten – alles offen.

Augenwischerei, solange diese Fragen noch offen sind:

1. Was passiert nach dem 15.7.?

Wohin mit dem Schulunfall, dem Arbeitsunfall, dem geplatzten Blinddarm, dem Sturz im Altenheim, den Verkehrsunfällen und all den anderen die bisher täglich die Ambulanz in Groß-Sand aufgesucht haben, mit Fieber, Husten, Schmerzen, Schwindel, Stürzen aus innerer Ursache – zu Fuß, mit PKW, mit Bus oder Krankenwagen? Was bedeuten die längeren Transportwege für Notfälle, wo jede Minute zählt? Staus auf den Elbbrücken sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Was, wenn die Elbbrücken ganz dicht sind?

2. Wie kann eine Notfallversorgung – z.B. in der angedachten „Stadtteilklinik“ funktionieren

ohne eine leistungsfähige Allgemeinchirurgie, ausgestattet mit OP, Intensivstation und Betten vor Ort?

3. Wie wird sich die Schließung des Notfallstützpunktes auf der Elbinsel auf die umliegenden Krankenhäuser auswirken?

Die Zustände in den Hamburger Notfallambulanzen sind bekannt. Regelmäßig gibt es Hilferufe der betreffenden Krankenhäuser. Wie viele Fälle kommen für das AK Harburg, das Marienkrankenhaus und das AK St. Georg noch oben drauf, wenn die Notfallversorgung wegfällt? Der Hamburger Süden wird nach dem Wegfall in Groß-Sand nur noch von 2 Krankenhäusern versorgt. 

Ein Ausbau der Krankenhauskapazitäten südlich der Elbe wäre das Gebot der Stunde. Dies sind die Stadtteile mit dem größen Bevölkerungszuwachs in Hamburg. Neugraben, Süderelbe, allein Wilhelmsburg ist mit mehreren tausend neuer Wohnungen auf dem Weg zur innerstädtischen Großstadt. Hamburg muss auch die dafür notwendige Infrastruktur zur Verfügung stellen: Schulen, ambulante und eben auch stationäre gesundheitliche Versorgung!

4. Welche Planungen gibt es für den Katastrophenfall?

Das Risiko für Großschadensereignisse mit Massenanfall von Verletzten ist kaum irgendwo in Hamburg so groß wie auf der Elbinsel: Die Insellage, Hamburgs wichtigste Verkehrstrassen, die Hauptschlagadern für den motorisierten und den Bahnverkehr, Hafen, Logistikbetriebe, in unmittelbarer Nachbarschaft der Wohngebiete befinden sich zahllose Gefahrgutlager, Störfallbetriebe und Gefahrguttransporte.

Welche Risikoanalysen gibt es? Welche Notfallpläne? Wo sind die Hubschrauberlandeplätze? Wie ist eine Notfallversorgung mit Massenverletzten möglich ohne eine leistungsfähige Versorgungsstruktur vor Ort?

Fazit: Jetzt wo das Erzbistum raus ist, hat die Stadt die volle Verantwortung.

Eine „Stadtteilklinik in einem Stadtstaat“ mag ein griffiger Titel sein. Ein Konzept ist dahinter noch nicht erkennbar. Ohne die Beantwortung der angesprochen Fragen, ohne leistungsfähige Strukturen, die in der Lage sind, die Grund- und Notfallversorgung auf der Elbinsel, im Hafen und im gesamten Hamburger Süden effektiv sicherzustellen droht ein dramatisches Vakuum für die gesundheitliche Versorgung relevanter Teile der Hamburger Bevölkerung. 

Es ist dürfte kein Zufall sein, dass mit der Nachricht über das Aus von Groß-Sand bis nach den Wahlen gewartet wurde. Mit dem Antrag für die Bürgerschaft am 18.6. versuchen die Koalitionäre vor die Welle zu kommen.

Man spürt in jedem Abschnitt des Antrags die Brisanz: Jeder auf der Elbinsel hat seine Geschichte mit Groß-Sand. Trotz aller Defizite ist das Haus eine Insel der Menschlichkeit, ein Hafen, ein verlässlicher Anker in der Nachbarschaft – Tag und Nacht verfügbar, selbst wenn die Brücken dicht sind. Ein über hundert Jahre existierendes Symbol öffentlicher Daseinsvorsorge und Fürsorge für die Menschen auf der Elbinsel. 


Diese Stellungnahme von Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg vom 4.6.25. als pdf:
Gross-Sand wird abgewickelt_schwerer Schlag für Gesundheitsversorgung in HH

Schreiben an die Mitarbeiter im Krankenhaus Groß-Sand vom 27.5.2025:
25-05-27_Information an Mitarbeiter

Krankenhaus Groß Sand schließt – Hamburger Abendblatt 28.5.2025:
2025-05-28_Krankenhaus Gross-Sand schliesst_HA

Groß Sand schließt – Arzt warnt vor dramatischen Folgen – Hamburger Abendblatt-online am 1.6.2025:
25-06-01_HA_Gross-Sand_Arzt warnt vor dramatischen Folgen

Pressemitteilung GRÜNE: Rot-Grün stellt Initiative für innovativen Gesundheitsstandort in Wilhelmsburg vor
25-05-27_PM GRÜNE zu Gross-Sand

Geplanter Antrag von SPD und GRÜNE für die Bürgerschaftssitzung am 18.6.2025:
BÜ_SPD_GRUENE_Antrag_Gross Sand

Pressemitteilung DIE LINKE vom 27.5.2025: Krankenhaus Groß-Sand wird abgewickelt: Schwerer Schlag für die Gesundheitsversorgung
2025-05-27 PM Groß-Sand

MOPO-Hamburg 5.6.2025: Widerstand gegen das AUS von Groß-Sand
25-06-05-MOPO

 

2 Antworten zu “Krankenhaus Groß-Sand wird abgewickelt: Schwerer Schlag für die Gesundheitsversorgung in Hamburg

  1. Antworten Hartmut Sauer Jun 4, 2025 13:59

    Für Wilhelmsburg ist die Entscheidung des Erzbistums das Krankenhaus Groß- Sand zu schließen eine Katastrophe. Durch die vielen Neubaugebiete ist Wilhelmsburg auf dem Weg zur innerstädtischen Großstadt. Durch die Insellage, den Hafen und die vielen Industriereviere ist Wilhelmsburg deutlich von anderen Stadtteilen abgegrenzt. Deshalb ist ein Krankenhaus der Grund- Regel- und Notfallversorgung unverzichtbar. Mit immer größerer Sorge haben wir in Wilhelmsburg den Niedergang des Krankenhauses in den letzten 20 Jahren verfolgt. Es war für alle Beteiligten im Stadtteil bitter, miterleben zu müssen, dass das Bistum und die Krankenhausleitung in der Vergangenheit weder ausreichend ins Krankenhaus investiert haben, noch notwendige strategische Entscheidungen getroffen haben. Das die Bistumsvertreter nach dem Desaster um die Schulschließungen offensichtlich nichts gelernt haben und im vergangenen Jahr nun auch die Verhandlungen um den Verkauf der katholischen Krankenhäuser gegen die Wand gefahren haben, macht uns hier im Stadtteil fassungslos.
    Bei den Überlegungen zur Zukunft der gesundheitlichen Versorgung in Wilhelmsburg sollte das Bistum nicht mehr einbezogen werden. Sowohl der Verwaltungsdirektor des Erzbistum als auch der Chef der Ansgar- Gruppe haben in den vergangenen Jahren ihre Unfähigkeit zur Steuerung des Krankenhauses, zur Verhandlungsführung und auch zu einem respektvollen Umgang mit den Mitarbeitenden des Krankenhauses nachgewiesen. Wenn es zu einem Neustart in Wilhelmsburg kommen soll, dann muss dies fähigeren Menschen und Institutionen übergeben werden.
    Hartmut Sauer

  2. Antworten PD Dr. Thorsten Krause Jun 6, 2025 21:31

    Der Deutsche Ethikrat hat bereits 2016 in seiner Stellungnahme gefordert, dass das Patientenwohl der ethische Maßstab für eine Krankenhausbehandlung sein muss. Hier heißt es unter Anderem, dass „unter der Maßgabe des
    Patientenwohls, mit Beteiligung von Patientenvertretern und unter Berücksichtigung der für eine flächendeckende Grundversorgung unabdingbaren Fachrichtungen, ein geeignetes Verhältnis von wohnortnaher respektive schnell erreichbarer stationärer Versorgung und spezialisierten Zentren mit erweitertem Behandlungsangebot ermittelt werden sollte.“ Das Patientenwohl darf demnach ökonomischen Interessen nicht untergeordnet werden. Diesem Umstand sollte in der aktuellen Situation in Wilhelmsburg Rechnung getragen werden. Aufgrund der Insellage des Stadtteils, mit den zahlreichen Baustellen und häufigen Sperrungen der Zufahrtsstrassen, erscheint es absolut unverständlich, die Notfallversorgung im Stadtteil derartig zu erschweren. Im Übrigen sind die Notaufnahmen benachbarter Krankenhäuser schon seit Jahren stark belastet. Die strukturellen Defizite werden mit der Schließung des KH Groß Sand lediglich auf die Nachbarkrankenhäuser abgewälzt, aber eben nicht gelöst. Neben der zukünftig fehlenden wohnortnahen Notfallversorgung stellt sich darüberhinaus die Frage, ob es realisierbare Pläne für den Katastrophenfall in einem der größten Hamburger Stadtteile gibt, die eine adäquate medizinische und logistische Versorgung sicherstellen? Es erscheint somit aus ethischen Gründen und Gründen der Vernunft dringend geboten ein zukunftsfähiges Stadtteilkonzept zu entwickeln, welches einerseits das Patientenwohl in den Vordergrund stellt und die wohnortnahe Notfallversorgung sichert und andererseits auch für den Katastrophenfall geeignet ist. Thorsten Krause

Hinterlassen Sie eine Antwort