1971: Hamburg plante Autobahn über dem Isebekkanal. Und Heute? 1

Noch heute machen die Ideen von gestern fassungslos„. Unter diesem Motto steht eine neue Serie im Hamburger Abendblatt. In „Entworfen/Verworfen“ befasst sich Matthias Iken in Teil 1 ausführlich mit Hamburgs Plänen für eine autogerechte Stadt von vor 50 Jahren. Hamburger Abendblatt vom 4.7.2020, Seite 8

Dabei war die Autobahn durch Eppendorf nur ein Abschnitt eines ganzen Systems von geplanten Stadtautobahnen. 1971 wurden die Pläne in den Flächennutzungsplänen verankert und u.a. vom damaligen Bausenator Caesar Meister und Oberbaudirektor Müller-Ibold hartnäckig verteidigt.

Iken zeichnet den Bürgerprotest der kommenden Jahre nach – u.a. aus der Perspektive des damals als Jugendlicher engagierten heutigen Regissieurs Oliver Hirschbiegel – und deren Vorstellungen von Urbanität und einem städtischen Verkehr der Zukunft. Die Proteste hatten schließlich Erfolg. Stadtautobahnen sind seitdem in Hamburg eigentlich vom Tisch. Zumindest, was die Stadtteile nördlich der Elbe betrifft.

Bemerkenswert ist auch Ikens Recherche zur damaligen Rolle des Hamburger Abendblattes, in dem die Pläne des Senates überwiegend verteidigt wurden. 

Wie ist es möglich, dass Hamburg – nach diesen Erfahrungen – aktuell (2020!) noch das Projekt einer Stadtautobahn verfolgen kann?

  • Was unterscheidet die hier als „Hafenquerspange“ bzw. jetzt „A26-Ost“ firmierende Stadtautobahn von den alten Plänen?
  • Warum unterscheidet sich die Wahrnehnung dieser Pläne im Süden der Stadt so eklatant?
  • Könnte das Hamburger Abendblatt diesmal vielleicht eine andere Rolle übernehmen: kritisch hinterfragend, Debatten anstoßend oder moderierend?

Mit einem Kommentar und seinem persönlichen Erleben sowohl in der Isestraße in den siebziger Jahren als auch später in Wilhelmsburg wendet sich Manuel Humburg direkt an den Abendblatt Autor Matthias Iken:

„Sehr geehrter Herr Iken,

gestern hatte ich dazu spontan schon einen schnellen Leserbrief eingereicht.

Aber die verworfene Autobahn über dem Isebekkanal beschäftigt mich auch heute noch.

Offenbar rührt Ihre hervorragende Recherche über diese absurden Pläne von 1971 auch an meiner eigenen Geschichte.

Als ich 1971 nach Hamburg kam, um mein Medizinstudium zum Abschluss zu bringen, bin ich zuerst in einer Kammer in der Isestraße 45 untergekommen. Mit Blick auf den Isebekkanal. Wie für Herrn Hirschbiegel mein liebster Ort zum Entspannen und zum Paddeln. Interessanterweise war die aufgeständerte U-Bahn auf der anderen Seite eigentlich nie ein Problem. Alle sind wir heute froh, dass es damals diese Proteste gab und mutige Politiker, die ein Einsehen hatten. Niemand wird heute bestreiten, dass ein Jugendlicher wie Oliver Hirschbiegel und seine Mitstreiter der herrschenden Stadtplanung einer autogerechten Stadt damals schon weit voraus war.

Ich erinnere mich auch an die breiten Proteste gegen eine geplante Autobahnzufahrt quer durch Ottensen. Die Entwicklung Ottensens zu einem der lebendigsten und lebenswertesten Stadtteile wurde erst möglich, nachdem dieses anachronistische Verkehrsprojekt endlich versenkt war.

1975 bekam ich eine Stelle im Wilhelmsburger Krankenhaus Groß Sand und zog dann auf die Elbinsel. Können Sie sich meine Überraschung vorstellen, als ich mich hier erneut mit den Plänen für eine Stadtautobahn konfrontiert sah? Wie konnte das sein? Waren nicht Stadtautobahnen in Hamburg endgültig vom Tisch? Diese Autobahn nannte sich zwar „Hafenquerspange“, war aber mitten durch das lebendige Reiherstiegviertel geplant und sollte über dem Ernst August Kanal und über den Spreehafen verlaufen – ebenso Paddler-Paradiese wie der Isebekkanal.

Irgendwann habe ich verstanden, dass es in Hamburg offenbar unterschiedliche Maßstäbe gibt: Solche für die Innenstadt und andere für die Ränder, vor allem die Ränder im Süden der Stadt. Dabei waren die Argumente für diese Querspange die gleichen wie für die mittlerweile ad acta gelegte „Alster-Querspange“: angebliche „nationale Bedeutung, unverzichtbar für den Wirtschaftsverkehr, Bündelung von Verkehren und Entlastung von Stadtstraßen“. Sogar eine „positive Umwelt – und Klimabilanz“ wurde behauptet.

Aber auch auf der Elbinsel und im Hamburger Süden waren die Menschen auf Zack und erwiesen sich letztlich als weit blickender als Stadt-und Verkehrsplaner, die noch veralteten Denkmustern verhaftet waren. Dazu mussten allerdings über 10 lange Jahre ziemlich dicke Bretter gebohrt werden. Engagierte Menschen vor Ort setzten 2000 eine „Zukunftskonferenz Wilhelmsburg“ durch und besetzten den Ort der drohenden Autobahn 10 Jahre lang mit ihren „Spreehafenfesten“. Schließlich setzte sich in der Stadtplanung die Idee vom „Sprung über die Elbe“ durch. Eine Autobahn als „Querspange“ wäre diesem Sprung zu offensichtlich in die Quere gekommen.

Jetzt war eigentlich die Chance, das anachronistische Projekt endgültig zu beerdigen. Aber die Autobahn-Lobbyisten gaben sich noch nicht geschlagen und ließen die Querspange in einer Süd-Variante, schließlich als Verlängerung der A26, wieder auferstehen. Zwar käme sie hier dem Sprung über die Süderelbe in die Quere, bedeutete den Todesstoß für den Stadtteil Moorburg, zerstörte wertvolle Grün- und Erholungsgebiete im Moorgürtel, würde die Wohngebiete im Süden der Elbinsel zerschneiden und weitere urbane Entwicklungen dort unmöglich machen. All das hinderte ausgerechnet eine Grüne Stadtentwicklungssenatorin nicht, grünes Licht für diese Planung zu erteilen.

Während die Planung weiter voran schreitet wird mittlerweile immer deutlicher, dass auch dieses Autobahnprojekt dereinst so grotesk und realitätsfremd anmuten wird, wie heute eine Autobahn über den Isebekkanal: Mit jeder neuen, verringerten Umschlagprognose schwindet die angebliche Bedeutung für den Hafen, die steigenden Kosten für eine neue Köhlbrandquerung verschiebt die Prioritäten bei der Erreichbarkeit des Hafens, neue Erkenntnisse zur Klimaentwicklung und zum Verkehr der Zukunft erzwingen ein Umdenken.

Bemerkenswert, sehr geehrter Herr Iken, finde ich, wie Sie auch die Rolle des Abendblattes bei den damaligen Debatten beschreiben. Was liegt näher, als eine moderierende Rolle des Abendblattes zum aktuellen Autobahn-Konflikt? Ein Pro und Kontra Dialog von Befürwortern und Kritikern in der Print- Ausgabe bietet sich an. Zumal die Gegner konkrete Alternativen vorschlagen. Und ist es nicht Zeit für eine größere öffentliche Debatte – wenn wieder möglich – vielleicht mit Herrn Iken als Moderator?

Das wünscht sich und grüßt sehr freundlich,

Manuel Humburg

Hamburg-Mitte/Wilhelmsburg, 5. Juli 2020″

 

 

 

 

1 Antwort zu “1971: Hamburg plante Autobahn über dem Isebekkanal. Und Heute?

  1. Antworten Henry Wiencken Jul 22, 2020 21:23

    Leserbrief an das Hamb. Abendblatt

    Sie schreiben, dass der Plan zu grotesk erschien um überhaupt ernst genommen zuwerden. Trotzdem war der damalige Oberbaudirektor ein großer Befürworter einer Stadtautobahn und auch der damalige Bausenator C. Meister sympathisierte mit einer Stadtautobahn. Sie kam damals – vor 50 Jahren – nicht und wäre heute wahrscheinlich auch undenkbar. Wirklich ? Was gerade in Wilhelmsburg mit der A26 Ost geplant wird ist genau das Gleiche, eine Stadtautobahn mitten durchs Wohngebiet neben Kirchdorf-Süd mit ca. 6000 Einwohnern. Und die Politik unterstützt trotz des Wegfalls der Voraussetzungen zu Planungsbeginn, wie der Einbruch der Umschlagzahlen im Hafen seit 2008, diesen Wahnsinn. Lernen die da Oben denn garnichts mehr dazu? Es reicht doch die A26 an die A7 in Moorburg anzuschließen und nicht noch Milliarden Euro – die wir nach der Coronakrise sowieso nicht mehr haben – in einer sinnlosen Autobahn zu verbuddeln

    Henry Wiencken
    Hamburg-Wilhelmsburg

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