Gestaltungsmacht oder Mitmachfalle? Bericht vom Beteiligungsforum am 9.5.2014

Beteiligungsforum 2014 05 09 (6)

Eigentlich sollte es in einer Demokratie selbstverständlich sein: dass Bürgerinnen und Bürger mitentscheiden können, was mit ihrer Stadt geschieht. Dass die Praxis in Hamburg oft frustrierend anders aussieht, war das große Thema auf einem Forum im Bürgerhaus Wilhelmsburg, bei dem es am Freitag, 9.5., um „Bürgerbeteiligung – Gestaltungsmacht oder Mitmachfalle?“ ging.  Eingeladen hatten u.a. der Einwohnerverein St. Georg, der Verein Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg und Mehr Demokratie e.V. Das Echo war überraschend groß und vielfältig, nahezu alle Ecken Hamburgs waren mit Bürgerinitiativen vertreten.

Von den rund 150 Teilnehmer*innen kamen eindrucksvolle Schilderungen darüber, wie Bürgerinitiativen ausgebootet werden – auch und gerade dann, wenn sich Politik, Verwaltung und Investoren scheinbar kompromissbereit zeigen.  Selbst das viel gelobte neue Transparenzgesetz bietet keinen Schutz davor. Ingo Böttcher von „Hamburgs Wilder Osten“ berichtete z.B. von einem Spruch des Verwaltungsgerichts, nach dem bezirkliche Bauausschüsse ihre Sitzungen ohne Begründung als vertraulich deklarieren dürfen. Auch gegen so genannte Weisungen von Fachbehörden an einen Bezirk, bestimmte Maßnahmen durchzusetzen, haben Bürgerinitiativen kaum Chancen. Dafür nehmen aber seit einigen Jahren öffentliche Info-Veranstaltungen zu, die als Bürgerbeteiligung firmieren, obwohl dabei nur Planungen vorgestellt werden, die schon beschlossen sind. Die Unzufriedenheit vieler Hamburger*innen mit solchen von Consultingfirmen professionell gestalteten „Akzeptanzbeschaffungsmaßnahmen“ war in Wilhelmsburg überdeutlich.

Es gab jedoch nicht nur ein vielstimmiges Klagelied, sondern vor allem einen kraftvollen Blick nach vorn. Manuel Humburg vom Verein „Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg“ stellte klärend fest: Der eine, einzige Königsweg zu nachhaltigen Mitspracherechten kann auch auf einem solchen vielgestaltigen Forum nicht gefunden werden. Deutlich wurde aber auch: Bürgerinitiativen sind heute anders als noch vor zwanzig Jahren. Das Internet hat Möglichkeiten der Vernetzung eröffnet, die es früher nicht gab. Initiativen sind beharrlicher, informierter, kreativer und rechtskundiger geworden. Nils Boeing vom Netzwerk „Recht auf Stadt“ sprach von Widerstandsmanagement, die Idee einer Fortbildungsakademie für Bürgerinitiativen kam auf.  Die Forderung nach einer starken kommunalpolitischen Ebene für Hamburg wurde auch bei der abendlichen Diskussion mit Bezirks- und Bürgerschaftspolitiker*innen laut.

Für die Stadtteilbeiräte, die es in unterschiedlicher Intensität zum Teil seit Jahrzehnten gibt, berichtete Michael Joho aus St. Georg, wie dieses bewährte Instrument der Bürgerbeteiligung zunehmend beschnitten wird: Kürzung der Zuschüsse, weniger Information durch Behörden, weniger  Möglichkeiten, unabhängige Experten hinzu zu ziehen.  Johos Hauptforderungen: Erhalt und Einrichtung von Stadtteilbeiräten mit der nötigen finanziellen, personellen und räumlichen Ausstattung überall dort, wo es gewünscht wird; Schaffung eines eigenen Etatpostens „Stadtteilbeiräte“ im Hamburger Haushalt und Verfügungsfonds für alle Quartiere mit Stadtteilbeiräten;  gesetzliche Absicherung von Beteiligungsstrukturen auf Stadtteilebene und frühzeitige Einbindung z.B. bei Planungsverfahren.

Große Einigkeit herrschte auch bei der Forderung an die Politik, der versprochenen Stärkung der Bezirke endlich messbare Taten folgen zu lassen. Vor allem das Konzept der Einheitsgemeinde, das den Bezirken nur wenig Spielraum lässt, galt einigen Rednern als nicht mehr zeitgemäß. Den Kritikern war aber auch klar, dass für eine grundlegende Reform, um zum Beispiel  eigenständige Kommunen aus den Bezirken zu machen, die hamburgische Verfassung geändert werden müsste. Für Angelika Gardiner von Mehr Demokratie stand fest, dass die Verfahrenstricks, mit denen Bürgerbegehren und Bürgerentscheide ausgehebelt werden (wie z.B. bei Langenhorn 73 oder Eden für Jeden), dann nicht mehr möglich wären. Für den Verein „Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg“ brachte es Michael Rothschuh auf den Punkt: „Nur wenn Bürger*innen in dieser Weise Verhinderungsmacht haben, haben sie auch Verhandlungsmacht und bleiben nicht bloße Bittsteller. So können sie konstruktiv Alternativen aufzeigen und umsetzen.“

Letztendlich war das Beteiligungsforum ein voller Erfolg mit inhaltlichen Beiträgen und einer guten Debatte auf hohem Niveau.
Wir bedanken uns bei allen, die dieses Forum zu dem gemacht hat, was es war. Insbesondere geht der Dank an Hanne Hollstegge, der Hauptorganisatorin, Anette Kretzer und Hartmut Sauer, die den Nachmittag sowie den Abend toll moderiert hatten und natürlich den Berichterstattern zu den einzelnen Themenblöcken.
Dank auch an Olaf Duge, Kurt Duwe, Dirk Kienscherf, Christoph J. Ploß, Sebastian Seeger und Heike Sudmann, die am Abend  in der Politiker*innen-Runde die Debatte bereichert haben.

Wir hoffen, dass wir euer Interesse geweckt haben und für die Zukunft, dass es uns gelingt, eine bessere Vernetzung der engagierten Bürgergruppen in ganz Hamburg zu organisieren.

Grundlage der Diskussion waren 4 Thesenpapiere

1. Quartiers- und Stadtteilbeiräte: Tod auf Raten oder neuer Standard der Stadtteildemokratie?
Michael Joho, Einwohnerverein St. Georg

Thesen1_Beiraete_Beteiligungsforum

2. Von Selbstermächtigung und neuen Aktionsformen
Niels Boeing, Wunschproduktion-St. Pauli, Akteur im Netzwerk Recht auf Stadt

Thesen2_Selbsterma chtigung_Autogestion_Beteiligungsforum

3. Verkehrsinfrastruktur-Projekte: Bürgerbeteiligung als Marketinginstrument
Michael Rothschuh, Verein Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg

Thesen3_Verkehrsinfrastr_Beteiligunsgsforum

4. Bürgerentscheide, Transparenz und kommunalpolitische Kompetenzen
Angelika Gardiner, Mehr Demokratie e.V.

Thesen4_Mehr_Demokratie_Beteiligungsforum

mehr:
www.beteiligungsforumhamburg.wordpress.com

 

 

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