Corinna Peters-Leimbach: Predigt zum Abschied

Corinna Peters-Leimbach

Corinna Peters-Leimbach

Gastbeitrag von Pastorin Corinna Peters-Leimbach***

Auszüge aus der Abschiedspredigt am 18.1.2014 in der Kreuzkirche. (Ein Gespräch zu ihrem Abschied nach 14 bewegten und engagierten Jahren in Wilhelmsburg findet sich auf wilhelmsburgonline)

Liebe Gemeinde,

Vieles hat sich in Wilhelmsburg verändert seit ich im Jahr 2000 meine Gemeindepfarrstelle und dann im Jahr 2008 diese Projektpfarrstelle angetreten habe.
Manches Mal ist mir dabei … ein Wort aus dem Hebräerbrief (13, 14) durch den Kopf gegangen.  Im letzten Jahr wurde es – passend zu Bauausstellung und Gartenschau – Jahreslosung:

„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“

Dieses Wort möchte ich heute über meine Predigt stellen.
„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Dass dieses Suchen mit einer Vielzahl von Baustellen zu tun haben kann, mit Diskusionen um Gentrifizierung, Teilhabe  an der Gesellschaft, Beteiligungsformen, mit der Hoffnung auf bessere Bildungschancen für alle Kinder hier und vieles andere mehr – das haben wir in den letzten Jahren mit der IBA erlebt. Ob diese Suche der IBA erfolgreich war und ob sie das selbstgesteckte Ziel, Aufwertung ohne Verdrängung realisieren konnte, werden die nächsten Jahre zeigen. Und ich bin mir sicher, dass Ihr hier vor Ort das in gewohnter Weise genau und ggf. auch kritisch verfolgen werdet.

Doch die Suche nach einer zukünftigen Stadt ist für mich noch mehr. Sie hat auch mit der Suche nach Sicherheit und Geborgenheit zu tun. Weltweit sind Menschen auf der Flucht aus ihren alten Dörfern und Städten. Sie flüchten vor Unrechtsregimen, vor Hunger, vor Verfolgung. Viele kommen dabei ums Leben. Erst Dienstag sind wieder mehr als 200 Flüchtlinge auf ihrer Flucht im Südsudan im Nil ertrunken. Die, die solche Fluchten überleben, suchen ihre zukünftige Stadt, ihre Heimat in dem Land, wo sie als erstes ankommen, aber auch hier bei uns. Erst heute konnten wir in der Ortspresse lesen, dass in Containern am Kurdamm hier in Wilhelmsburg 150 Flüchtlinge eine Unterkunft finden sollen. Dass sie sich hier willkommen fühlen, wird eine wichtige Aufgabe derer sein, die hier schon zu Hause sind.

Auch in einer reichen Stadt wie Hamburg leben Menschen teilweise ohne Papiere, ohne Krankenversicherung und ohne soziale Absicherung. Eigentlich kaum vorstellbar. Ein Gang durch Wilhelmsburg und auch Artikel wie im Wilhelmsburger Wochenblatt über den sogenannten Bulgarenstrich führen uns die Not dieser Menschen vor Augen. Die Stadt von heute kann vor diesen Problemen nicht die Augen verschließen sonst wird sie keine gute zukünftige Stadt sein.

„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Doch auch ohne größere materielle Not ist die Suche nach Heimat, nach einer zukünftigen Stadt, menschlich. Sie hat für mich mit der Sehnsucht nach Geborgenheit und Heil zu tun. Es geht um ein Dach über dem Kopf, aber auch um Beziehungen, um Familie, Freundinnen und Freunde, Kolleginnen und Kollegen, Gemeinschaft in den Gemeinden und im Stadtteil. So kann die Stadt dann auch gerne so grün und so bunt sein wie im vergangenen Jahr auf der igs, die vielen von uns, die heute hier sind, zu einem Stück Heimat auf Zeit geworden ist.

„Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir.“ Dieser Satz ist für mich keine Vertröstung auf eine Zukunft, die uns irgendwann im Jenseits erwartet, sondern eine Aufgabenbeschreibung für heute. Ich verstehe diesen Satz als Aufgabe für die Kirchengemeinden, aber auch für die anderen Religionsgemeinschaften, für Menschen ohne religiöse Bindung, für die Zivilgesellschaft. Alle gemeinsam, mit ihren jeweiligen Kompetenzen, müssen sich darum kümmern, dass es den Bewohnerinnen und Bewohnern in unseren Stadtteilen, in den Dörfern und Städten gut geht. Und viele Menschen engagieren sich ja auch schon in vielfältiger Weise:  Sie eröffnen Räume für Gespräche, mischen sich ein in Stadtteilfragen, machen den Mund auf für Menschen, denen selbst die Worte fehlen, verhelfen anderen zu ihrem Recht, lindern den Hunger. Kinder erhalten Schulaufgabenhilfe und eine warme Mahlzeit. Gottes Liebe zu den Menschen wird gelebt und spürbar in Wort und Tat. Ich denke trotzdem, wir können uns noch nicht mit dem zufrieden geben, was wir um uns herum sehen, mit dem, was wir schon erreicht haben. Wir sind nicht schon fertig, wir suchen weiter – die Not ist noch zu groß. Und so suchen wir: Nach einer Stadt, in der es keine Ausgeschlossenen gibt,  wo jede und jeder sich zu Hause fühlt, wo Gerechtigkeit herrscht, wo wir einander im Blick haben. In dieser Stadt werden Kinder beim Aufwachsen gefördert und im Zweifelsfall auch vor ihren Eltern geschützt, alle Jugendlichen schaffen einen Schulabschluss und sehen eine Perspektive für ihr Leben. Und nach einem erfüllten Leben werden Seniorinnen und Senioren in Frieden alt.

Liebe Gemeinde, wir haben diese zukünftige, zugegebenermaßen paradiesische Stadt noch nicht, wir suchen sie. Das heißt, wir alle, jede und jeder von uns, ich ganz persönlich muss mich bewegen, aufmachen, geistig und manchmal auch körperlich. So könnte man auch meine Haltung charakterisieren: Ich muss in gewisser Weise unzufrieden bleiben und unbequem. Eben Protestantin, aber nicht nur protestieren, sondern selbst mit Hand anlegen, um diese zukünftige Stadt mit zu bauen.
Das ist das, was ich auf zwei Stellen insgesamt 14 Jahre lang hier auf Wilhelmsburg getan habe. Ich habe versucht, Positives weiter zu entwickeln und Missstände abzuändern, zu sehen, was Gott und den Menschen hier dient – und das habe ich voller Glauben und mit viel Freude getan. Meistens konnten wir uns auf einen Konsens einigen, manchmal war ich sicherlich auch unbequem.  Ich danke Ihnen und Euch für die konstruktive Begleitung meiner Arbeit, für begleitende Gebete, Kritik und Anregungen und bitte um Entschuldigung, wo ich Fehler begangen habe. Ich bin zuversichtlich, Ihr werdet hier weiterhin nach dem Besten für den Stadtteil suchen und hoffentlich auch Kontroversen wie Diskussionen um die Schließung oder Öffnung des Inselparks miteinander aushalten.
Ich werde an einem anderen Ort weiter die zukünftige Stadt suchen. …

Der gesamte Predigttext vom 18.1.2014 als pdf:
Predigt 18.1.2014

Brunnen der Religionen am 21.8.2013 © Manuel Humburg

Brunnen der Religionen am 21.8.2013    © Manuel Humburg

Beitrag von Corinna Peters-Leimbach „Wilhelmsburg in Zeiten von IBA und igs – Versuch einer Deutung“ im Buch: „Eine starke Insel mitten in der Stadt“, September 2012:

Versuch einer Deutung

Kapelle-im-Mengepark ©C-Peters-Leimbach

Kapelle-im-Mengepark  ©Peters-Leimbach

 

Hinterlassen Sie eine Antwort