Verein Zukunft Elbinsel Wilhelmsburg lehnt eine Volksabstimmung zum Thema Flüchtlingsunterkünfte ab und unterstützt die Erklärung von „Recht auf Stadt“ (Link s.u.)
Der erweiterte Vorstand des Vereins hat bei seiner Sitzung am 18. Februar 2016 einmütig beschlossen, sich kritisch zu dem von mehreren Hamburger Initiativen geplanten Volksentscheid zu den geplanten Wohnsiedlungen für Geflüchtete zu äußern.
Unser Verein gehört zum Trägerkreis der Volksinitiative „Rettet den Volksentscheid“ und setzt sich für faire und verbindliche Regeln für Volksentscheide in dieser Stadt ein. Wir halten Volksinitiativen, Volksbegehren und Volksentscheide für unverzichtbare Ergänzungen in der parlamentarischen Demokratie.
In der Geschichte Wilhelmsburgs gibt es etliche Beispiele, bei denen es der Kompetenz und dem Engagement der Menschen vor Ort zu verdanken war, dass Fehlentscheidungen von Politik und Verwaltung korrigiert werden konnten. Und auch aktuell gibt es eine Reihe von Auseinandersetzungen, wo wir uns mit der Überforderung von Verwaltung oder mit der Arroganz der Macht konfrontiert sehen. Das Gefühl von Ohnmacht kennen wir zu gut. Und auch das Gefühl von Wut. Mit einer Volksinitiative kann ein Dialog erreicht oder eine öffentliche Debatte erzwungen werden, die zu einer Entscheidung führt.
Menschenwürde und Menschenrechte jedoch sind nicht verhandelbar und können nicht zur Abstimmung gestellt werden. Dazu gehört das Recht auf Wohnen für alle Menschen in dieser Stadt.
Beim Bürgerschaftswahlkampf 1994 – auf dem Höhepunkt der „Flüchtlingskrise“ im Zusammenhang mit den Kriegen in Ex-Jugoslawien – war es der sozialdemokratische Bürgermeisterkandidat, der erklärte: Er hielte die Parole „Das Boot ist voll“ an sich für sehr problematisch, aber wenn es irgendwo voll sei, dann in Wilhelmsburg. Dagegen verteidigten die Wilhelmsburger Initiativen damals das Recht auf Stadt für alle Menschen, wiesen die Forderungen nach einer Zuzugssperre für Ausländer und Flüchtlinge für Wilhelmsburg entschieden zurück und forderten stattdessen Verbesserungen der Lebensverhältnisse im Stadtteil.
Heute sind es Initiativen besorgter Anwohner aus verschiedenen Hamburger Stadtteilen, die angesichts einiger hundert Geflüchteter in ihrer Nachbarschaft von Grenzen der Belastbarkeit sprechen und beim Bau von Großunterkünften das Entstehen von „Ghettos“ befürchten.
Größere Einheiten können problematisch sein. Sie sind aber nicht per se schlecht. Steilshoop, Mümmelmannsberg, Allermöhe und Kirchdorf-Süd haben ganz andere Dimensionen. Dennoch gibt es viele, die dort gerne und aus Überzeugung wohnen. Entscheidend sind die Anbindung, die Zentralität, nachbarschaftliche Bauweise und die Infrastruktur. Auch im „Wohnwunder Wien“ wird groß und hoch gebaut.
Einfallslose Einheitsarchitektur auf der grünen Wiese/oder im Landschaftsschutzgebiet – aus Kostengründen oder in einseitigem Geschäftsinteresse gilt es zu verhindern.
Der Begriff „Ghetto“ in diesen Zusammenhängen ist jedoch leichtfertig, stigmatisierend und gefährlich, weil er Geister weckt, die keiner rufen will.
Am ehesten passt die Bezeichnung „Ghetto“ noch zu der aktuellen Wohnsituation vieler Geflüchteter in Hamburg: Wie z.B. in der Dratelnstraße in der Wilhelmsburger Mitte, wo 1500 Menschen in einem Lager notdürftig untergebracht sind: In Containern oder in provisorischen Holzhäusern mit 16 Personen auf 28 m². Monatelanges Warten auf eine ungewisse Zukunft.
Dies ist die Situation, die schnellstens überwunden werden muss. Die Menschen müssen raus aus diesen Lagern. Sie brauchen richtige Wohnungen. Orte zum Ankommen, nicht zum Weglaufen. Sie brauchen gute, engagierte Nachbarschaften und professionelle Unterstützung, wie z.B. durch Gemeinwesenarbeit. Und vor allem müssen sie selbst beteiligt werden, bei der Gestaltung ihrer Zukunft und ihrer Wohnsituation.
Wir hben Verständnis für viele berechtigte Kritikpunkte und unterstützen unsererseits etliche Vorschläge aus den Reihen der Initiativen, z.B. Dachgeschossausbau, Leerstände nutzen, Bürogebäude umwidmen, das Springerhaus belegen, Flächenalternativen prüfen, „Viertelmix“ im regulären Wohungsbau, Vorschläge für bessere Infrastruktur und gute Integration. Dafür müssen wir gemeinsam streiten. Der Senat wird aufgefordert, die vorgeschlagenen Maßnahmen und Alternativen ernsthaft zu prüfen.
Von einem Volksentscheid über Obergrenzen in den Quartieren und Stadtteilen allerdings raten wir dringend ab.
Auch wenn hier ein Sachthema zur Abstimmung gestellt wird, befürchten wir, dass die Debatte darüber aus dem Ruder läuft, in eine Richtung, die auch die Initiatoren nicht wollen. Wir erinnern uns an eine Unterschriftenkampagne der CDU gegen die einst geplante „Doppelte Staatsbürgerschaft“, wo sich an den Markt-Ständen der CDU in Wilhelmsburg lange Schlangen bildeten und gefragt wurde: „Wo kann ich hier gegen Ausländer unterschreiben?“
Seit über hundert Jahren ist in Wilhelmsburg das Fremde der Normalfall. Die weitaus meisten Menschen, die hier leben, sind irgendwann mal hierher eingewandert. Das läuft nicht ohne Probleme – zumal wenn das Einkommen bei Vielen kaum bis Monatsende reicht. Man muss sich auch nicht immer lieben. Aber man kennt sich, man lernt voneinander und man kommt miteinander klar. So gesehen, ist das international geprägte Wilhelmsburg ein unglaublich starker Stadtteil.
Jetzt haben zusätzlich 3500 vor Krieg, Terror und Armut Geflüchtete bei uns Unterkunft gefunden. Die Insel hilft! Schaffen wir das? – Wir wollen das.
In diesem Sinn unterstützen wir die
10 Punkte – Erklärung des Hamburger Netzwerkes „Recht auf Stadt“.
Original und englische Version
Eppendorf – Offener Brief zum Thema: Unterkunft für Geflüchtete in der Osterfeldstraße
gefluechtete-in-eppendorf-offener-brief
Diakonie HH – Große Flüchtlingsunterkünfte: Bürgerbeteiligung ja – Volksinitiative nein.
Ich weiß nicht, weshalb manche Menschen sagen, dass wir durch die Geflüchteten überfordert wären. Mir hat noch keiner das Essen weggenommen, das Geld, die Arbeit oder unser Haus. Jeder Mensch soll dort leben, wo er leben möchte !